„Ich möchte Kindern ein Stück Zukunft geben“
Perspektive einer erfahrenen Frühförderin.
„Frühförderung ist für mich nicht einfach ein Beruf. Es ist eine Aufgabe, die ich mit ganzem Herzen lebe – weil ich weiß, wie viel davon abhängt. Wenn ich ein Kind zum ersten Mal sehe, spüre ich sofort: Komme ich an dieses Kind heran? Kann ich sein Vertrauen gewinnen? Gerade bei entwicklungsverzögerten oder frühkindlich autistischen Kindern ist das alles andere als selbstverständlich. Manche schauen dich nicht an, reagieren nicht auf Ansprache, flüchten in ihre eigene Welt. Dann braucht es Geduld, Zeit und dieses Gefühl: Ich gebe dich nicht auf.
Ein Junge, den ich betreue, ist drei Jahre alt, frühkindlicher Autismus. Er spricht nicht, reagiert nicht, die Mutter kann mit ihm kaum das Haus verlassen – er reißt sich los, läuft weg. Ich habe angefangen, ihn mit meinem Auto abzuholen. Erst mit der Mutter zusammen. Nach einer Weile ist er allein mit mir mitgefahren. Für andere klingt das nach einer Kleinigkeit – für uns war das ein Durchbruch. Ein kleines Stück Selbstständigkeit, ein erster Schritt in die Welt.
Für viele dieser Kinder ist unsere Förderstunde in der Woche das Highlight. Zwei Stunden, in denen sich jemand nur um sie kümmert. Sie ernst nimmt. Sie sieht. Und das reicht manchmal schon, damit sie ein Stück wachsen. Ich erinnere mich an zwei Brüder, die bei einer taubstummen Mutter aufwuchsen. Sie konnten weder sprechen noch sich verständlich machen, waren komplett überfordert. Nach zwei Jahren intensiver Förderung konnten sie sich ausdrücken, sich integrieren. Und dann wurden sie plötzlich in ein Heim verlegt – ohne Abschied, ohne Erklärung. Das hat mich tief getroffen. Nicht nur als Pädagogin, sondern auch als Mensch.
Meine Arbeit ist weit mehr als Sprachförderung oder Entwicklungstests. Ich begleite Familien – oft durch schwierige Zeiten. Viele Eltern sind anfangs überfordert, wissen nicht, was mit ihrem Kind los ist, oder wollen es nicht wahrhaben. Dann ist viel Fingerspitzengefühl gefragt. Ich will niemandem sagen, was er falsch macht. Ich will Vertrauen aufbauen. Nur mit den Eltern gemeinsam funktioniert Frühförderung. Wenn sie mitziehen, wenn sie zuhause weitermachen, dann können wir viel erreichen.
Ich arbeite oft mit Familien, die wenig haben – materiell, aber auch emotional. Kinder, die keinen geregelten Alltag haben, keinen Spielplatz und keine Bücher kennen, die nie im Wald waren. Ich fahre mit ihnen raus, lasse sie Gras unter den Füßen spüren, Enten füttern, Natur erleben. Frühförderung ist für mich auch: den Kindern das Leben zeigen.
Was mich motiviert? Die strahlenden Augen eines Kindes, das plötzlich etwas schafft, was es sich selbst nie zugetraut hätte. Eine Nachricht von Eltern Jahre später: „Ohne Sie wären wir heute nicht da, wo wir sind.“ Oder wenn mich Kinder auf der Straße erkennen und mir lachend in die Arme laufen. Dann weiß ich: Es lohnt sich. Für diese Momente mache ich das.
Ja, es ist manchmal frustrierend. Wenn Förderplätze fehlen. Wenn Behörden dich ausbremsen. Wenn man Kindern nicht den Platz bieten kann, den sie so dringend brauchen. Und trotzdem: Ich bin überzeugt, dass wir mit unserer Arbeit etwas verändern. Vielleicht nicht die Welt. Aber die kleine Welt eines Kindes. Und das zählt.“

Anja Kochanek
Mit Herz und Haltung für die Kleinsten