Interview mit Thomas Dierssen, Leiter der Frühförderung

„Der Bedarf an qualifizierten Förderangeboten steigt“

Mehr als 100 Kinder in der Frühförderung und etwa 60 Klienten in der Autismusambulanz betreut die Lebenshilfe Seelze zurzeit. Ob Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene – der Bedarf an qualifizierten Förder-angeboten steigt. Thomas Dierssen, Leiter des Bereiches Frühförderung und Autismusambulanz, erklärt, woran das liegt.

Herr Dierssen, gibt es immer mehr auffällige Kinder? Oder wie ist die steigende Zahl an Anmeldungen zu erklären?
„Das hat mehrere Ursachen. Immer mehr Kinder gehen heute in die Kita. Entwick-lungsverzögerungen oder -störungen fallen somit schneller auf und die Förderung kann früher einsetzen. Außerdem gibt es eine größere Sensibilität bei dem Thema. Man schaut genauer hin. Eltern beobachten aufmerksamer, wie sich ihre Kinder entwickeln. Mit dem Projekt „Frühe Hilfen“ der Region Hannover wurde zudem ein Netzwerk mit einem effektiven Frühwarnsystem aufgebaut.

Wie funktioniert dieses Frühwarnsystem?
„Pädagogen, Ärzte, das sozial-pädiatrische Zentrum, die Kostenträger und spezialisierte Förderzentren wie die Lebenshilfe arbeiten jetzt enger und besser zusammen. Beispielsweise betreuen wir viele Kinder nicht nur zuhause, sondern zunehmend auch in den Kindergärten. Das war vor zehn oder 15 Jahren noch nicht der Fall. Dafür wurden auf Regionsebene politisch wichtige Weichen gestellt.

Aber auch die Diagnostik hat sich verändert. Und zunehmend gehen auch Kinderärzte in die Kindergärten. Diese Engmaschigkeit wirkt sich auf die Zahl der Diagnosen und damit auf die Nachfrage nach passenden Fördermöglichkeiten aus. Das funktioniert mittlerweile immer besser. Erfreulich ist, dass das Konkurrenzdenken der ver-gangenen Jahre einem vertrauensvollen und konstruktiven Miteinander weicht, dass Kompetenzen und Ressourcen verknüpft werden. Das ist eine positive Entwick-lung – zum Wohle der Kinder.

Welche Rolle spielen die Eltern in der Frühförderung?
„Die Mitarbeit der Eltern ist enorm wichtig. Gerade bei Kindern mit sozial-emotionalen Entwicklungsstörungen oder Sprachstörungen ist es wichtig, auf das soziale Umfeld einzugehen, um das Selbstvertrauen und die Möglichkeiten zu erwei-tern. Wir beraten die Eltern und geben ihnen Tipps für den Alltag. Denn letztlich müssen sie die Angebote umsetzen. Nur so kann sich das Kind positiv entwickeln und Fortschritte machen.“