Aus der Praxis – Arvid

„Eltern sind die eigentlichen Therapeuten“

Reportage aus dem Magazin Blickwinkel, Ausgabe 2/2016

Der kleine Arvid schaut wach und aufgeweckt in die Welt. Aus seinen Augen blitzt der Schalk. Er lacht gern und viel, ist ein richtiger Strahlemann. Ein fröhliches, glückliches Kind. Im Januar feiert der blonde Lausbub seinen zweiten Geburtstag. Laufen können, wird er bis dahin nicht. Selbst das gezielte Greifen fällt ihm noch schwer. Arvid hat eine sogenannte Cerebralparese, auch cerebrale Bewegungsstörung genannt, deren Ursache in einer frühkindlichen Hirnschädigung liegt. Dreimal die Woche bekommt Arvid Frühförderung.

Ärzte kämpften um Arvids Leben

Arvid ist im Mutterleib vollkommen gesund herangewachsen. Komplikationen während der Geburt führten zu einem Sauerstoffmangel. „Er hatte die Nabelschnur dreifach um den Hals gewickelt“, schildert Arvids Vater Danielo Hintze. „Die Herztöne hörten schon auf, er musste 28 Minuten reanimiert werden, davon war er sieben bis 12 Minuten ohne Sauerstoff.“ Die Ärzte kämpften um das Leben des kleinen Jungen. „Wir waren ob der Geschehnisse bei und unmittelbar nach der Geburt auf einen totalen Pflegefall vorbereitet“, sagt Hintze. Dass Arvid „nur“ körperlich stark beeinträchtigt ist, empfinden seine Eltern Julia Pfetzing und Danielo Hintze insofern schlicht als „großes Glück und ein wahres Wunder.“

Frühförderung seit September 2015
Die bei der Geburt geschädigten Gehirnzentren und Nervenbahnen senden bei Arvid zu viele oder zu wenige Signale an die Muskeln. Die Befehle des Gehirns an seinen Bewegungsapparat, und die Rückmeldung der Muskulatur an das Gehirn funktionieren nicht. Der Bewegungskreislauf ist unterbrochen, darum kann Arvid seine Muskeln nicht richtig kontrollieren. Folglich auch seine Bewegungen nicht koordinieren. Der Einjährige schafft es nicht, nach Dingen zu greifen, kann sich nicht drehen oder aufrichten, er kann nicht sitzen. Seit September 2015 bekommt Arvid auf Empfehlung des Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ) Auf der Bult Frühförderung – zunächst zwei Mal die Woche.

„Die Eltern sind die eigentlichen Therapeuten“
Bei den Therapiestunden zuhause in Neustadt bezieht Frühförderer Thomas Dierssen die Eltern mit ein. Danielo Hintze versucht nach Möglichkeit, bei jedem Termin dabei zu sein. „Es ist ungemein wichtig, dass die ganze Familie mitarbeitet und die spielerischen Übungen in den Alltag übernimmt. Die Eltern sind die eigentlichen Therapeuten. Sie sind sehr engagiert“, betont Dierssen. „Arvid hat sich in der letzten Zeit schon toll entwickelt. Fast jeden Tag geht es einen Schritt voran“, sagt Hintze. Der kleine Strahlemann ist in den Therapiestunden konzentriert bei der Sache. Er will. „Arvid ist ein sehr freundliches und motiviertes Kind, er bewegt sich gerne und viel und hat einen starken Drang, sich aufzurichten“, sagt Dierssen, der drei Mal wöchentlich mit ihm arbeitet.

„Wir genießen jeden Augenblick“
„Wir vergleichen unseren Sohn nicht mit gleichaltrigen Kindern“, sagt Hintze. „Wir sehen Arvid und erfreuen uns an seinen Fortschritten, seien sie auch noch so klein.“ Ein Problem haben Julia Pfetzing und Danielo Hintze vielmehr damit, dass es im Umkreis Neustadt keinen Inklusions-Krippenplatz für Arvid gibt. Immerhin besteht die Aussicht, dass Arvid demnächst einen Platz in einem inklusiven Spielkreis bekommt. „Wir werden ihn dort auf Wunsch der Eltern mit der Frühförderung begleiten“, sagt Dierssen. Danielo Hintze will sich auf Grund seiner Erfahrungen für eine inklusive Kinderkrippe in Neustadt einsetzen. Im September dieses Jahres ist das zweite Kind der Familie, Enya, geboren. „Arvid wird sicher eine Menge von und mit seiner kleinen Schwester lernen“, sind die Eltern überzeugt. „Durch Arvid haben wir eine andere Sichtweise auf das Leben“, sagt Hintze. „Wir genießen jeden Augenblick.“